Arbeiten im „Kaffee-Start-up“ –

ein Selbstversuch in der TATICO-Rösterei

Kaffeetüten auf Röstmaschine

Espresso Despierto, Café Clásico, Café Armonía oder Café Aromático heißen die Sorten des beliebten TATICO-Kaffees, der seit dem 1. Juli in Brakel geröstet wird. „Wir sind eine kleine, handwerkliche Rösterei, die vergleichsweise kleine Menge im Trommelröster verarbeitet und viel Wert darauf legt, dass sich die Aromen des Kaffees optimal entfalten können“, sagt Ramona Linder. Hier gilt: Klasse statt Masse, Viel Handwerk statt Vollautomatisierung. Und vor allem fair und nachhaltig muss es im Produktionsprozess zugehen.

So sollen neue Arbeitsplätze entstehen, wenn die Rösterei voraussichtlich im Spätherbst als anerkanntes Inklusionsunternehmen des Kolping-Bildungswerkes Paderborn produziert, wo Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten. Zur Fairness und Nachhaltigkeit gehört es zudem auch, dass die Produzenten in Honduras auf Augenhöhe beteiligt werden. „Es ist unser Anspruch, die Idee von gleichberechtigter und solidarischer Zusammenarbeit umzusetzen“, ergänzt Thorsten Schulz, Referent der Geschäftsführung im Kolping-Bildungswerk. Er hat die Rösterei in Brakel gemeinsam mit Ramona Linder aufgebaut. 

Als weiterer zentraler Parameter steht die Qualität im Fokus. Schulz erklärt, dass vom Pflücken per Hand über die Verschiffung bis zur Verarbeitung ein engmaschiges Qualitätssicherungsverfahren greife: „Wir produzieren Spezialitätenkaffee von hervorragender Qualität.“

Sascha Dederichs, Grundsatzreferent der Geschäftsführung im Kolping-Bildungswerk, wollte wissen, wie es sich anfühlt, an einem solchen Produktionsprozess mitzuwirken. Er hat einen Tag lang in der Rösterei hospitiert. “Da Mitarbeiter erkrankt sind, bin ich sogar nützlich und werde gebraucht. Entstanden ist das Protokoll eines Tages, der für mich persönlich noch lange Nachwirken wird”, bilanziert er.

 

+++ Um 06.00 Uhr klingelt der Wecker, den ich an diesem Montagmorgen noch lieber kaputt schlagen würde als sonst, eine Stunde früher als gewöhnlich. Schrecklich.

+++ Etwa eine halbe Stunde nach dem Aufstehen habe ich das Gefühl, was sich zuverlässig immer einstellt, wenn man seinen ersten Arbeitstag in einer neuen Firma, Abteilung oder Branche hat. Man ist aufgeregt.

+++ Entgegen meiner Gewohnheit trinke ich an diesem frühen Morgen keinen Kaffee. Vielleicht, weil ich erst an der Produktion mitwirken will, bevor ich das fertige Produkt konsumiere? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Wer weiß. Die üblichen Routinen greifen heute nicht.

+++ Um 08.00 Uhr bin ich in Brakel und gehe in die Rösterei. Großer Trommelröster, viele Kisten, tausende Etiketten fein säuberlich aufgerollt in freudiger Erwartung verklebt zu werden, Tonnenweise Bohnen. Das alles verspricht verdammt anstrengend zu werden.

+++ 08.15 Uhr erste Arbeitsanweisung von Ramona: Kisten auffalten und zusammenkleben. Davon mache ich 50, stapele sie in mehreren Türmen so wacklig übereinander, dass sie permanent drohen umzukippen und freue mich, dass es doch nicht passiert. Ich denke: Dieser Vorrat hält erst mal eine Weile und werde am Abend erstaunt sein, dass doch alle voll mit Kaffee gepackt sind. Gut, dass ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß.

+++ Um kurz vor 09.00 Uhr trifft Verstärkung ein. Ein Bulli des Hotel Aspethera bringt vier weitere Personen (zwei für die Verwaltung, sprich Telefonieren, Bestellungen entgegennehmen, Rechnungen fertig machen etc. und zwei für den Produktionsprozess, sprich Tüten vorbereiten, Kaffee abfüllen, Tüten verschweißen). Die hohe Kunst des Röstens beherrscht nur Ramona. Das wird neben der Organisation des Gesamtprozesses an diesem Tag ihr Terrain bleiben.

+++ 09.30 Uhr bringt Ramona allen Kollegen einen Kaffee und ich glaube, dass mir noch nie ein Kaffee so gut getan hat wie heute.

+++ Die Kollegen aus der Produktion, die ich entweder nur vom Sehen oder gar nicht kenne, sind super super super nett und kollegial. So stellt man sich das an seinem ersten Arbeitstag vor.

+++ Um 10.00 Uhr fange ich an die Tüten zu verschweißen, die mein Kollege zuvor mit Kaffeebohnen abgefüllt hat. „Tüte oben glätten, in die Maschine so einlegen, dass es passt, Hebel runter drücken, warten bis das rote Licht aufhört zu leuchten, Tüte rausnehmen.“ Das ist die Ansage. Dann immer zwölf Tüten sammeln und einen Karton bestücken. Den Karton (6,9 kg) zukleben, zur Palette bringen und mit der richtigen Etikette versehen. Und wieder von vorne. Und so weiter. Und so fort. Werde ich heute eigentlich nach Stunden oder nach Tüten bezahlt? Muss ich mal fragen…

+++ Um 11.00 Uhr merke ich, dass ich routinierter und schnell werde mit dem Schweißen. Das ist auch nicht ganz unwichtig, da ich einen ziemlichen Stau produziert habe, den es dringend zu verkleinern gilt. Schließlich möchte man ja nicht direkt negativ auffallen…

+++ Um 12.00 Uhr – so langsam merke ich die ersten Stellen im Rücken – gehe ich in die Mittagspause, die ich mit den Kollegen aus der Verwaltung verbringe. D.h. ich mache Pause, esse mein Brötchen, trinke köstlichen Kaffee während die Kollegen einfach weiter arbeiten: Telefonieren, Rechnungen verschicken, Beraten etc. Schlechtes Gewissen meinerseits? Fehlanzeige! Schließlich habe ich auch schon gefühlt 100 Päckchen geschweißt.

+++ Um 12.45 Uhr geht’s weiter. Wieder Schweißen, diesmal eine andere Sorte, der Rest der Prozedur bleibt gleich. Aber: ich werde immer schneller. Kein Stau diesmal.

+++ 14.30 Uhr: 32. Kiste! 32 mal 12 macht 384 geschweißte Tüten. Ich werde euphorisch.

+++ 14.45 Uhr: Ein Kollege erzählt, dass der Rekord bei 1.300 Tüten an einem Tag liegt. Die Euphorie legt sich wieder etwas.

+++ 15.00 Uhr: Ramona erzählt mir von einem Ranking bzw. Scoring. Ab 80 erreichten Punkten genießt der Kaffee Spezialitätenstatus. Die COCACCAL, die Kooperative der Produzenten, die dem Kolpingwerk Honduras angehören, erreichte in der vergangenen Ernte durchschnittlich 81,5. Das ist hervorragend! Gerne würde ich noch eine Tasse trinken, aber ich bekomme mit, dass so viele Bestellungen eingehen, dass wir uns richtig ranhalten müssen, um Schritt mit der Produktion zu halten. Also: weitermachen!

+++ 16.00 Uhr: Rücken und Schultern signalisieren mir, dass morgen kein muskelkaterfreier Tag wird.

+++ 16.15 Uhr: 300 kg Kaffee verschweißt, macht ca. 600 Tüten. Ganz ordentlich finde ich das.

+++ 16.30 Uhr: Nochmal 20 Pappkartons für morgen vorbereiten, auch wenn ich dann gar nicht mehr da bin.

+++ 16.45 Uhr: Wasser trinken! 200 Grad wird es im Trommelröster heißt, erklärt Ramona. Das erklärt die Hitze im Raum trotz offener Fenster.

+++ 17.00 Uhr: Den Feierabend vor Augen allen Tschüss und Danke sagen und sich mit letzter Kraft zum Auto schleppen, dabei aber einen möglichst fitten Eindruck machen, damit das Ausmaß der körperlichen Erschöpfung nicht ganz offensichtlich wird.

+++ 17.45 Uhr direkt aufs Sofa fallen lassen und den Tag reflektieren. Also: Er war anstrengend, aber hat richtig richtig Spaß gemacht. Das Team war super, das Produkt, also der Kaffee, erste Sahne. „Nachhaltig.Fair.Geniessen.“ lautet der TATICO-Claim. Daran mitgewirkt zu haben, auch wenn es nur für einen Tag als Aushilfe war, macht mich stolz. Ich bin mir sicher: fortan wird mir der Kaffee noch besser schmecken als ohnehin schon.

+++ 18.00 Uhr: Mir fallen die Augen zu.

Derweil geht es für Linder, Schulz und ihre Mannschaft weiter. TATICO, da bin ich mir sicher, hat eine leuchtende Zukunft. „Wir glauben an die Kraft der Natur und die Stärke der Gemeinschaft. TATICO wird im Einklang mit Mensch und Umwelt ressourcenschonend angebaut, von Hand gepflückt, natürlich getrocknet und handwerklich geröstet“ heißt es in einer neuen kleinen Broschüre. Der Weg ist geebnet. Dennoch wird sich an der Situation des „Start-ups“, wie Thorsten Schulz die kleine Rösterei bezeichnet, wohl auf Zukunft hin noch einiges entwickeln. Aber alles Schritt für Schritt.

Sascha Dederichs