9.170 km Luftlinie trennen das ostwestfälischen Brakel von der Kleinstadt Danlí. Hier befindet sich das Nationalbüro von Kolping Honduras. Im Erdgeschoss ein kleines, abgedunkeltes Büro mit aufgeräumtem Holzschreibtisch.
Es ist das Büro von Ramiro Aguilar, Agraringenieur bei Kolping Honduras, doch nur selten ist er dort auch anzutreffen. Sein Büro sind die Fincas, sein PC das Smartphone. Die Kommunikation läuft von unterwegs.
Ramona Linder hat ihn zu seiner Arbeit interviewt:
Ramiro, erzähle uns von dir. Wer bist du, woher kommst du und woher rührt deine Liebe zu Kaffee?
Ich bin Kaffeeproduzent und gehöre zur dritten Generation von Produzenten auf unserer familiengeführten Finca.
Ich bin mit meinem Vater aufgewachsen, der mir die Liebe zur Kaffeekultur vermittelte. Ich erinnere mich, wie ich mit ihm in kleinen Gummistiefeln und Sonnenhut über die Felder lief. Als Spiel und gleichzeitig mit einem Auftrag meines Vaters versehen war je nach Jahreszeit auch mein Werkzeug dabei: eine kleine Hacke im Winter und ein kleiner Korb zur Erntezeit im Sommer. So fühlte ich mich als Teil dessen, dem es gelang, einen Kaffee mit besonderen Attributen zu ernten, an den ich mich noch heute erinnere, als wäre es gestern gewesen. Schon früh fühlte ich mich von der Arbeit angezogen und es führte dazu, dass sich meine Lebensziele immer um Kaffee drehten. Selbst als ich zum Studium in die Stadt zog, war das Ziel immer, eine vorzeigbare Kaffeefinca zu bewirtschaften, denn meine Arbeiten an der Universität und meine Forschungsfragen drehten sich alle um dieses eine Thema. Kurz gesagt, Kaffee ist mein Leben.
Bis heute bist du Kaffeeproduzent. Welche weiteren Schritte im Kaffeesektor konntest du während deiner beruflichen Laufbahn kennen lernen?
Ich begann zunächst als Barista zu arbeiten, um mein Studium zu finanzieren. Dann arbeitete ich mehrere Jahre lang als Röster und Cupper in einem Unternehmen für Spezialitätenkaffee und die letzten Jahre bei einem großen Exporteur als Logistikkoordinator sowie in den Abteilungen für Qualitätskontrolle.
Die Gemeinschaft der Spezialitätenkaffeeproduzenten in Honduras ist klein, d. h. die meisten von uns Baristas, Cuppern und Röstern kennen sich untereinander und sind freundschaftlich miteinander verbunden.
Seit Anfang 2022 arbeite ich als Agraringenieur bei Kolping Honduras.
Was ist für dich das Besondere an der Zusammenarbeit mit Kolping Honduras, den Kooperativen und der Röstwerkstatt?
Die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette liegt in der Hand von Kolping, vom Produzenten in Honduras bis zur Rösterei in Deutschland, in einer direkten Beziehung.
Ich bin froh und dankbar, dass ich in der Vergangenheit gezielt in jedem Glied der Kette gearbeitet habe, sodass ich die nötige Expertise für diese komplexe Aufgabe mitbringe.
Ich darf als Arm einer deutschen Rösterei in Honduras fungieren, als Bindeglied zwischen Produzenten und weiteren Akteuren. Das ist etwas ganz Besonderes, denn soweit ich weiß, gibt es kein anderes Unternehmen und keine andere Organisation, die in Honduras etwas Vergleichbares tut. Der Kommunikationsfluss zwischen den Akteuren wird zu einem wesentlichen Element der Zusammenarbeit.
Was sind Themen neben der Ermöglichung des Exports, die zu gemeinsam mit den Produzenten bearbeitest?
Die Themen sind vielfältig und reichen von klimagerechter Landwirtschaft über Betriebsplanung, Nass- und Trockenverarbeitung des Kaffees, Workshops zur Erhebung von Produktionskosten, die Frage von Nachhaltigkeit in der Produktion, Kreislaufwirtschaft,
Risikominimierung, Bodenschutzmaßnahmen, Management von Krankheiten auf der Finca bis hin zu den Kriterien für die Einhaltung der Zertifizierung.
Kurz gesagt, ich versuche, ein unternehmerisches Gedankengut zu vermitteln, das es dem Kleinproduzenten ermöglicht, seine Arbeit besser zu kontrollieren, seine Ressourceneinsatz zu minimieren und seine Gewinne zu steigern.
Dein Auto nennst du liebevoll „El Toro“ – der Stier. Wie viel Zeit verbringst du auf der Strecke und wie sind die Wege, die du zurücklegst?
Dort, wo der Zugang schwieriger ist, wo die Straßen kurvenreich sind, wo Möglichkeiten und technische Hilfe knapp oder nicht vorhanden sind, dort ist Kolping die einzige Organisation, die vor Ort bei den Menschen ist.
Und genau dort sind auch die besten Aromen zu finden, die besten Lagen, die besten Kaffees.
Hier ist “El Toro” mein treuer Begleiter. Wir fahren oft auf nassen, schlammigen Straßen. “El Toro” und ich haben viele Abenteuer erlebt, Flüsse, Schluchten und steile Kämme überquert.
Natürlich immer mit der nötigen Vorsicht und Aufmerksamkeit, denn die Straßen verlangen vom Fahrer höchste Konzentration und Respekt.
Du hast einen besonderen Sinn für die Jugend. In deinem Referat bei Kolping Honduras hast du stetig Praktikanten. Warum ist dir das wichtig?
In unserer Region Danlí gibt es einen großen Bedarf an Fachkräften im Kaffeesektor. Für mich ist es keine Aufgabe, sondern eine Freude, die jungen Menschen zu begleiten und anzuleiten.
Es gefällt ihnen bei uns, weil sie Netzwerke knüpfen können. Wir besuchen Fincas, sie helfen bei der Kaffeeaufbereitung, sie unterstützen im Labor der Qualitätskontrolle beim Exporteur, kommen mit aufs Land zu Besuchen bei den Kooperativen. Wir machen Workshops über Barismo, Cupping und Rösten. Wir bemühen uns stets um ihre ganzheitliche Entwicklung, und nach und nach wird mein Referat zu einer Art Kaffeeschule für junge Menschen. Das macht mich glücklich.
Im August wirst du nach Deutschland kommen. Dann heißt es, die 9170km erstmals physisch zurückzulegen. Worauf freust du dich am meisten?
Die Kinder sind die Früchte. Die Mutter ist die Pflanze.
Eine meiner Tätigkeiten mit den Produzenten besteht darin, das Wachstum der Pflanzen bestmöglich zu begleiten. Vor der Blüte, während der Blüte und nach der Blüte zeigen uns die Pflanzen deutlich, wie wir auf der Finca arbeiten. Ausgehend hiervon erstelle ich mit den Produzenten einen Bewirtschaftungsplan, in welchem wir festhalten, was die Pflanzen benötigen, um ihren Kirschen die beste Nahrung zu geben.
Ein ganzes Jahr lang das Wachstum der Kirschen zu begleiten und nun 9170 km den Bohnen zu folgen, die ich einst beobachtete, als sie noch blühten, den Ort und die Menschen am Ziel dieses Produktes kennenzulernen ist ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann.
Es ist wirklich ein wahr gewordener Traum.